Coworking – internationaler Projekttransfer in der Netzwerkgesellschaft

Wir leben in einer Netzwerkgesellschaft. Kollaborativer Konsum und soziale Medien gehen Hand in Hand. Wir produzieren und konsumieren gleichermaßen. Wir teilen vielleicht nicht alles, aber vieles: Statusmeldungen, Wissen und letztendlich immer öfter den Arbeitsplatz – in sogenannten Coworking Spaces.

 

In Coworking Spaces kann jede und jeder einen temporären Arbeitsplatz auf Tages-, Wochen- oder Monatsbasis mieten. Die Infrastruktur wird von den Be­treiberInnen des jeweiligen Coworking Spaces gestellt. Die­se variiert in Ausstattung und Preis. Auch die Motivationen und Vorstellungen zur Zu­sammenarbeit variieren stark. Einige Spaces verstehen sich ganz nüchtern als Vermieter von Arbeitsplätzen, in anderen wird gemeinsam gekocht, projektiert, werden Weiterbildungen angeboten. Der Grad der Vergemeinschaftung und das Ausmaß der virtuellen und realen Vernetzung der Mitglieder ist also unterschiedlich ausgeprägt, aber immer ein elementarer Bestandteil der Coworking-Bewegung. Nach neuesten Erkenntnissen von Deskmag, dem Online-Magazin rund um Coworking und seine Räume, öffnete im Juli der 3000. Coworking Space seine Türen (im März 2012 waren es noch 1700). Die Branche boomt.

CC BY 2_0 Mike Schinkel

Foto: CC BY 2.0 / Mike Schinkel

Es gibt zahllose Varianten der Umsetzung des Coworking-Modells. Die globale Coworking Landschaft ist ausdifferenziert und reicht von kleinen individuellen (Atelier-) Räumen mit angegliederten Cafés bis hin zu großen professionellen Bürokomplexen. Viele Coworking Spaces sind branchenorientiert, teilen aber immer die gleichen Wertevorstellungen: Zusammenarbeit, Offenheit, Gemeinschaft, Zugang und Nachhaltigkeit (Collaboration, Openness, Community, Accessibility, and Sustainability. Quelle: coworking.com).

Von Anfang an mit dabei waren das Gründer-Team des Betahauses Berlin und die vielen Köpfe, die sich hinter der HUB-Bewegung verbergen. Beide Modelle sind bis heute stetig gewachsen, mit Höhen und Tiefen, und stellen aufschlussreiche Beispiele für einen internationalen Projekttransfer dar.

Betahaus: erst ein, dann zwei, dann fünf, jetzt vier

Das erste Betahaus öffnete 2009 am Berliner Moritzplatz seine Türen. 2000 qm Arbeitsraum auf mehreren Etagen bot der Coworking Space, der als GmbH & CO. KG konstituiert ist. Neben flexiblen gibt es auch feste Arbeitsplätze sowie kleine Office-Bereiche für Teams und größere Besprechungsräume. Dort finden Freiberufler und Angestellte externer Firmen genauso ein Zuhause wie einige von Berlins aufstrebenden Start-ups. Für größere Veranstaltungen gibt es ebenfalls Platz. Herzstück des Betahauses ist das Café im Erdgeschoss, wo auch Nicht-Mitglieder in den Genuss der kreativen Arbeitsatmosphäre kommen können. Die Community tauscht sich in eigenen Workshops, Vorträgen und verschiedenen Veranstaltungsformaten aus. Ein besonderes Extra in Berlin: Die Open Design City, ein Werkstattbereich, der nicht nur Designerherzen höherschlagen lässt.

Neben Berlin gibt es Ableger in Köln und Hamburg. Darüber hinaus haben sich Standorte in Sofia und Barcelonagegründet. Der Transfer funktioniert hier über gemeinsame Werte und Vorstellungen vom gemeinsamen Arbeiten. Während der Coworking Space in Barcelona gerade erst eröffnet wurde, haben die Teams in Köln und Hamburg mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen.

Hub Madrid CC BY-NC-SA 2_0 madrideducacion_es

Foto: Hub Madrid CC BY-NC-SA 2_0 madrideducacion_es [Hub Madrid]

Kölner Betahaus schließt im April

Im Frühjahr 2013 konnte in Köln die Insolvenz der betahaus Köln GmbH & CO. KG nicht mehr abgewendet werden. Die Sanierungsmaßnahmen im Zuge des Insolvenzverfahrens scheiterten gleichermaßen wie die Suche nach einem neuen Objekt. Nach Angaben der BetreiberInnen war das Modell nicht rentabel, das Team ausgelaugt, und es gab Probleme mit dem Vermieter. Rettungsaktionen der Community scheiterten, zeigten aber einen starken Zusammenhalt.

Hamburg vorerst gerettet

Auch das Betahaus Hamburg musste Mitte diesen Jahres Insolvenz anmelden, konnte aber seine Türen vorerst für die CoworkerInnen offen halten. Als Grund für die Schwierigkeiten wird immer wieder die Konkurrenzsituation zwischen den unterschiedlichen Coworking Spaces angegeben. Im Rahmen dieser vorläufigen Insolvenz wurde die hub23 coworking UG gegründet. Gemeinsam mit neuen InvestorInnen und neuen Strukturen bleibt das Betahaus Hamburg vorerst am alten Standort erhalten, plant aber einen Umzug im nächsten Jahr. Mit einer neuen Tarifstruktur soll ein größeres Augenmerk auf Events und langfristige Mitgliedschaften gelegt werden. Auch hier wurde klar, dass hinter dem Coworking Space eine starke Community steht, die sich in einem offenen Brief an die Insolvenzverwalter wandten.

Impact-Hubs: gelungener Transfer mit Standortabhängigkeit

Auch bei der Hub-Bewegung gibt es Höhe und Tiefen. Mittlerweile gibt es über 40 Hubs auf fünf Kontinenten. Weitere stehen in den Startlöchern. Die globale Verbreitung als Social Franchise läuft unter der internationalen Marke HUB und wird von der Impact HUB GmbH mit Sitz in Wien gesteuert. Um ein eigenes Hub zu eröffnen, unterliegen die potenziellen GründerInnen der einzelnen Filialen klaren Vorgaben und müssen jährliche Gebühren entrichten, die je nach Standort variieren. Dafür haben sie vollen Zugang zur Basisstation in Wien, inklusive Beratung und Corporate Design.

Das erste Hub wurde 2005 in London gegründet. Dort gibt es inzwischen drei Filialen. Dabei ist jedes Hub eine eigenständige Firma. Im Zuge der #HelloImpact-Kampagne werden alle “alten” Hubs in „Impact Hubs“ umbenannt. Die Hauptzielgruppe bleiben weiterhin SozialunternehmerInnen, die mit ihren Ideen die Welt ein bisschen besser machen wollen.

In Deutschland gibt es momentan zwei Impact Hubs. Nachdem ein erster Anlauf in Berlin scheiterte, befindet sich das neue GründerInnenteam noch in der Startphase. Mitglieder werden trotzdem schon geworben. Das Hub München hingegen ist schon gut besucht. Hier soll ein Zentrum für soziale Innovation und gemeinwohlorientiertes Wirtschaften entstehen. Arbeitsplätze und Räume für Events aller Art stehen den Mitgliedern seit Februar 2013 zur Verfügung.

Das Modell Coworking ist im Zuge der allgemeinen Reorganisation von Arbeit in der Wissens- und Netzwerkgesellschaft nicht mehr wegzudenken. Dabei gibt es nicht nur Erfolgsgeschichten – wie in allen innovativen Bereichen. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Orte selbst. Zum einen spielt der Standortfaktor eine nicht zu unterschätzende Rolle. In größeren Städten mit großzügigen und trotzdem bezahlbaren Immobilien funktioniert Coworking besser – selbst wenn schon andere Spaces vor Ort sind. In Konkurrenzsituationen ist es wichtig, seinen eigenen Platz in der Coworking-Szene zu kennen und strategisch auszubauen.

Leider scheitern viele Initiativen auch aufgrund personeller Probleme. Einzelpersonen kommen häufig an die Grenzen ihrer Kräfte. Mit ihnen verschwindet dann auch der Coworking Space von der Bildfläche.

Der wichtigste Punkt ist und bleibt die Community, ohne die Coworking keinen Sinn machen würde. Hier liegt ganz klar der Unterschied zwischen der Anmietung von (Einzel-) Büros oder Bürogemeinschaften. Regelmäßige Veranstaltungen und Netzwerktreffen fördern das gemeinsame Arbeiten und den Austausch der NutzerInnen.

Die nächsten Jahre werden zeigen, ob Coworking mehr als nur eine Antwort auf die Wirtschaftskrise ist und die unterschiedlichen Modelle nebeneinander existieren können. Eines ist schon jetzt klar: Viele der Start-ups, die uns die Möglichkeiten zu kollaborativer Arbeit und Konsum bieten, wären ohne Coworking Spaces wahrscheinlich nicht entstanden.

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Johanna Voll

Johanna Voll studierte Interkulturelle Europa- und Amerikastudien in Halle (Saale) sowie Soziokulturelle Studien an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), wo sie mittlerweile als akademische Mitarbeiterin tätig ist. Zuvor hat sie u.a. in der Onlineredaktion vom BBE (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement) die Social Media-Kanäle betreut. An der Viadrina beschäftigt sie sich nun mit der Reorganisation von Erwerbsarbeit in der Wissensgsellschaft und untersucht das Phänomen Coworking und seine Räume. Besonders spannend findet sie auch die Schnittstellen von Social Media und Wissenschaft und versucht genau das den Studierenden zu vermitteln.

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