NPO-Blogparade. Neue Nachbarschaften braucht das Land

Wie kann städtische Anonymität aufgebrochen werden? Wie aus Fremden neue Nachbarschaften entstehen? Der SeniorenComputerClub Berlin-Mitte macht vor, wie es geht. Ein Modell, das hoffentlich Schule macht.

 

Die „Fischerinsel“ in Berlin-Mitte ist ein eher unwirtlicher Ort. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand hier, dem historischen Siedlungskern von Berlin, kein Stein mehr auf dem anderen. Die DDR errichtete auf der Brache gleich sechs monumentale Wohntürme. Doch hinter der spröden Fassade der Plattenbauten steckt jede Menge Leben. Maßgeblicher Treiber der nachbarschaftlichen Gemeinschaft ist der SeniorenComputerClub Berlin-Mitte (SCC). Wer mit alten Menschen die Abwehr von Neuerungen und Unwissen in Sachen Computer assoziiert, muss sein Altenbild an diese Stelle radikal korrigieren.

Fast täglich werden Workshops und Schulungen im Fischerkiez angeboten. Sie reichen vom Erstellen von Fotobüchern, über Bildbearbeitung, Excel für Einsteiger bis hin zu individuellen Kursen. Dazu gibt es verschiedene „Interessengemeinschaften“ etwas zum Thema Video, die sich regelmäßig treffen. Und nicht zuletzt ist da noch der Wikipedia-Stammtisch „Silberwissen“.

2871345502_677457745d_b

Der Club hat sich zu einem Ort des Lernens, aber auch zu einem kommunikativen Treffpunkt für die Nachbarschaft entwickelt. Es werden Feste gefeiert, Exkursionen und Ausflüge organisiert. Eine lebendige Gemeinschaft ist trotz starker Fluktuation bei den Mietern entstanden. Darüber hinaus ermöglichen die technischen Fertigkeiten, die der Club vermittelt, leichter Kontakte über den Kiez hinaus zu pflegen: E-Mails an Kinder und Enkel sind keine Hürde mehr, eine Foto-CD vom Familientreffen brennen, ebenso wenig.

Dabei gilt: Seniorinnen und Senioren gestalten das Clubleben, Workshops und Vorträge komplett in eigener Regie. Nur wenige Serviceleistungen werden von einem Kooperationspartner übernommen. Auch Planung und allgemeiner Bürodienst werden ehrenamtlich von den Clubmitgliedern gemanagt.

Technische Neuerungen wie Tablets werden gezielt daraufhin geprüft, wie sie beispielsweise den Anwohnern das Leben erleichtern können, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. So wird überlegt, wie man Tablets so vorkonfektioniert, dass relevante Apps wie Pflegedienst, Essensversorgung, Fahrdienst, aber auch Skype und Mail sofort aufgerufen werden können.

Der SeniorenComputerClub Berlin-Mitte ist ein Beispiel für eine unorthodoxe und Klischees sprengende Nachbarschaftskultur. Hier eignen sich betagte Nachbarn ganz selbstverständlich und selbstständig Fertigkeiten an, die Gemeinschaft stiften und gleichzeitig altersbedingte Einschränkungen entschärfen helfen. Man wünscht sich noch viel mehr solcher Clubs in ganz Deutschland!

http://www.scc-berlin-mitte.de/

Foto: CC BY-NC-SA 2.0 / f2b1610 / Flickr

Henrik Flor

Diplom-Politologe, absolvierte nach dem Studium ein Verlagsvolontariat und betreute danach für eine Kommunikations-Agentur verschiedene Kunden aus der Buchbranche. Er leitete bis 2021 den Bereich Redaktion & Konzeption bei der Stiftung Bürgermut, baute dort das digitale Engagement-Magazin Enter auf und war von Anfang an bei der Entwicklung von opentransfer.de dabei. Henrik Flor ist Gründungsmitglied des Vereins Netzdemokraten, der Partizipationsmöglichkeiten im Internet auslotet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert