Asylothek Berlin: Was tun, wenn keiner kommt?

Das Icon, das für Session-Dokumentationen steht.Henrik Flor, Asylothek Berlin, auf dem openTransfer CAMP #Patenschaft am 25. März 2017 in Schwerin

Nach der Eröffnung einer Bücherei in Berlins größter Notunterkunft blieb die Resonanz hinter den Erwartungen der Initiatoren zurück. Die Session drehte sich daher um die Themen Umsteuern und das Ermitteln von Bedarfen.

Eine „Asylothek“ ist eine Bücherei in einer Flüchtlingsunterkunft. Ziele des Projekts sind die Förderung von Spracherwerb, Bildung, kulturellen Angeboten und der Integration. Im Juli 2012 eröffnete die erste Asylothek in Nürnberg, inzwischen existieren mehrere Dutzend in ganz Deutschland. Jede Asylothek agiert weitgehend autonom und setzt eigene Schwerpunkte.
2015 gründete sich die Berliner Asylothek. Zuerst eröffnete ein Standort in einer Sammelunterkunft in Weißensee. Parallel liefen die Vorbereitungen für eine deutlich größere Herausforderung: die Eröffnung einer Asylothek in der NUK Tempelhof. In den Hangarn wurde im Herbst 2015 über Nacht die größte Notunterkunft der Stadt installiert. Jeweils 400-500 Menschen leben in den Hangarn. Privatsphäre gibt es nur symbolisch in Form von Trennwänden, die Abteile für jeweils zwölf Bewohnerinnen und Bewohner abtrennen. Im April 2016 eröffnete dann ein Begegnungscafé in dem auch die Asylothek unterkommen konnte. Ein Mitglied der Asylothek entwarf ein mobiles Regalsystem, das sich flexibel anordnen lässt.

Die halbe Silhoutte eines Mannes, durch das Fenster sieht man Teile eines Schlosses.
Die Bücherei war in der Folgezeit immer dann gut besucht, wenn die Kleiderkammer nebenan geöffnet hatte und viele Bewohnerinnen und Bewohner darauf warteten, vorgelassen zu werden. Zudem bildete sich schnell einen harten Kern an Besucherinnen und Besuchern heraus, die mehrmals in der Woche kamen. Viele von ihnen bereiteten sich auf Deutschkurse vor oder unterhielten sich einfach mit den Team-Mitgliedern. Es gab aber auch Tage, an denen wenig Publikumsverkehr war.

Neue Ideen
Das Team setzte unterschiedliche Ideen um, damit die Asylothek mehr Menschen anzieht:

  • Da der Spracherwerb besonders viele Besucherinnen und Besucher interessierte, wurde mehr Lernmaterial und wurden mehr Wörterbücher angeschafft.
  • Mit einem kleinen Bücherwagen zogen Team-Mitglieder durch die Hangar und machten Werbung für die Asylothek.
  • Flyer wurden über den Betreiber an die Bewohnerinnen und Bewohner verteilt.
  • Lesungen und Erzählcafés fanden statt.
  • Zwei Bewohner aus der Unterkunft wurden als Team-Mitglieder gewonnen und haben anderen in der Unterkunft von dem Angebot erzählt.
  • Einzelne Team-Mitglieder freundeten sich mit Besucherinnen und Besuchern an und gründeten informelle Patenschaften, halfen bei Wohnungssuche und Behördengängen.

 

Die Ideen hatten unterschiedlich viel Erfolg. Einzelne Events zogen viele Besucherinnen und Besucher an, auch die informellen Patenschaften funktionierten sehr gut. Dennoch gab es Tage, an denen wenig Publikum kam.
Zuletzt wurde die NUK leergezogen, sodass von – zu Spitzenzeiten – rund 3.000 Bewohnerinnen und Bewohnern aktuell nur noch 500 in den Hangarn leben. Das Begegnungscafé, in dem sich die Asylothek befindet wird zum Sommer geschlossen, da die Bewohnerinnen und Bewohner in eine Containersiedlung umziehen. Ob es einen alternativen Standort für die Asylothek geben wird, ist unklar.

Viele Rückmeldung der Session-Teilnehmenden
Die Teilnehmenden an der Session hatten zahlreiche weitere Fragen, Ideen und Tipps. Viele hatten ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass Angebote nicht immer den drängendsten Bedarf trafen:

  • Plattform: Eine Teilnehmerin fand es einen guten Weg, die Bücherei noch stärker zur Plattform verschiedener Aktivitäten zu machen, die flexibel geplant werden.
  • Vor dem Projektstart die Zielgruppe ansprechen und herausfinden: Gundsätzlich sollte die Frage geklärt werden, inwieweit Geflüchtete in der Ankommenssituation Bücher nutzen?
  • Benennung: Der Name „Asylothek“ wurde als Hypothek wahrgenommen. Ein intuitiv verständlicherer Name, der zudem positiv besetzt ist, wäre geboten.
  • Flexibel bleiben: Die Flüchtlingshilfe Schwerin hat selbst mehrmals ihre Angebote nachgesteuert. Ihre Deutschkurse wurden anfangs stark nachgefragt, dann wieder gar nicht, nachdem viel Geld in die Kurse von professionellen Trägern floss. Danach war das Interesse wieder groß an Angeboten, die die offiziellen Deutschkurse begleiten, wie z.B. Hausaufgabenhilfe.
  • Zuhören: Bewohnerinnen und Bewohnern der Unterkünfte genau zuhören, sie kennenlernen. Ebenfalls in Schwerin gründete sich eine Theatergruppe, nachdem deutlich wurde, dass etliche professionelle Schauspieler und Drehbuchautoren unter den Geflüchteten waren.
  • Netzwerk nutzen: Den Austausch mit anderen Asylotheken suchen. Andere Städte werden ähnliche Erfahrungen gemacht haben und haben vielleicht Lösungen gefunden.
  • Prototyping: Warum immer groß starten? Man hätte auch erst einmal ein Bücherregal aufstellen können, vielleicht auch eine Give Box oder einen Bücherschrank und die Reaktionen beobachten können.
  • Kommunikation: Flyer, das ist inzwischen common sense, bringen für die Kommunikation in Unterkünften sehr wenig. Besser: Multiplikatoren unter den Bewohnerinnen und Bewohnern oder Mitarbeitende des Unterkunftsbetreibers finden. Diese kommunizieren das Angebot dann.

Foto: Andi Weiland

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Julia Meuter

Julia Meuter arbeitet als Leiterin Transferberatung bei der Stiftung Bürgermut. Zuvor war sie bei der EVPA tätig und leitete beim Bundesverband Deutscher Stiftungen das „Social Franchise Projekt“ sowie „Effektn –Methoden erfolgreichen Projekttransfers“. Sie hat ein umfangreiches Wissen zu Fragen der systematischen Skalierung von Gemeinwohllösungen und ist Autorin zahlreicher Publikationen und Praxis-Ratgeber zum dem Thema.

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