Empathie mithilfe neuer Technologien – ein Experiment

Marcel Neuenhaus, HSHL / Flüchtlingshilfe Hamm e. V., auf dem openTransfer CAMP #Ankommen am 24.09.2016 in Düsseldorf

Marcel Neuenhaus, Student an der Hochschule Hamm-Lippstadt, hat ein Experiment zur Interaktion von Mensch und Maschine entwickelt. Seine Forschungsgruppe beschäftigt sich mit einem Virtual-Reality-Erlebnisszenario, das Kriegserfahrungen von Geflüchteten für andere erfahrbar macht und durch den Perspektivenwechsel Empathie erzeugen könnte.

Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen. Im Rahmen des Projekts untersucht Marcel Neuenhaus nun die Hypothese, ob es möglich ist, mit neuen Technologien diese zu steigern und Menschen für die Fluchterfahrungen der Neuankommenden zu sensibilisieren. Er ist Softwareentwickler und engagiert sich aber auch bei der Flüchtlingshilfe Hamm e.V. Neben Zerstörungsszenarien, die Kriegszustände simulieren – in Kombination mit Windmaschine und Verbrennungsgeruch –, stellt Marcel Neuenhaus noch weitere Einsatzmöglichkeiten vor: So könne simuliert werden, wie es sei, wenn man in einer fremden Umgebung nichts verstehe, aber dennoch Aufgaben des täglichen Lebens erfüllen müsse. Schließlich präsentierte er Projektideen, bei denen Geflüchteten z. B. mithilfe von VR-Brillen Orte und Erlebnisse erklärt werden, die sie bis dahin anders oder gar nicht wahrgenommen haben. So könne man das Konzept „Bar“ als Ort, an dem sich Menschen treffen, um gemeinsam Sport im Fernsehen anzuschauen, gut vermitteln, ohne dass man zunächst die Hürden eines realen Besuchs überwinden müsse. So sei die zentrale Forschungsfrage, welchen Einfluss bestimmte Neuronen auf die individuelle Empathiebildung haben.

Ein junger Mann mit Basecap erläutert etwas am Laptop.

Ideen: Messestände, Muslim Pokémon Go und reale Begegnungen
Leider reagierten die deutschen Probandinnen und Probanden bislang eher belustigt, als ihnen das Szenario ihrer brennenden Universität eindrücklich und mit Reizen für alle Sinnesorgane vorgespielt wurde: „Yeah, meine Uni wird hier zerstört!“ – das hörte man oft genug als Reaktion. Marcel Neuenhaus fragte die Teilnehmenden an seiner Session also, wie man eingefahrene Perspektiven durch neue Technologien ändern könne?

Ideen, die gesammelt wurden, waren die Einbindung eines interaktiven Videos mit Bezug zur eigenen Erfahrungswelt, denn „Empathie verbindet Menschen, nicht Ereignisse.“ So wäre es sinnvoll, andere Menschen oder auch bekannte Gesichter in die VR-Umgebung einzubauen – technisch sei das möglich. Die meisten Menschen zeigten sich zunächst sehr interessiert an den neuen Technologien. Diesen Faktor müsse man ausnutzen und so den Zugang zu ganz neuen Zielgruppen finden, z. B. auf Messen oder an Informationsständen. Wichtig sei aber auch ein qualifiziertes Gesprächsangebot nach dem VR-Erlebnis, womöglich mit den Protagonistinnen und Protagonisten selbst, um so eine direkte Übersetzung in die Realität zu erzeugen. Sozialpädagoginnen und -pädagogen könnten Projekte dieser Art zusätzlich begleiten.

Empathie mit und ohne Datenbrille
Ein anderer Teilnehmer träumte von einem Experiment mit zwei Personen in unterschiedlichen Erdteilen, die jeweils VR-Brillen trügen, und in einer Art Tandem die Lebensrealität des anderen wahrnähmen. Für ihn stand aber auch fest: „Empathie stellt man am leichtesten durch den direkten Kontakt her.“ Gemeinsam zu kochen sei das Wirkungsvollste, um von beiden Seiten mehr zu erfahren. Eine weitere seiner Ideen: In einer virtuellen Spielumgebung bewegen sich die Spielerinnen und Spieler aus verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen religiösen Vorstellungen. Die Muslime bekommen beispielsweise in einem Weinlokal Punkte abgezogen, wenn Sie Alkohol trinken und einen Bonus beim Smoothie-Shop. Genauso werden sie aber auch in die katholische Kirche geschickt und können dort Kontakte knüpfen. Eine Art Muslimisches Pokémon Go könne den Erstkontakt erleichtern und spielerisch vorbereiten.

Ein weiterer Hinweis: Komplett offline und ohne digitale Simulationen arbeite das Auswandererhaus in Bremerhaven. Dort könne jede und jeder in die Rolle von Geflüchteten schlüpfen. Denn auch die deutsche Geschichte sei geprägt von vielen Fluchterfahrungen. Auch dadurch könne Empathie erzeugt werden.

Fazit
Es braucht also nicht immer neue Technologien, um Empathie zu erzeugen, aber der Spaß und die Neugier auf die neuen Geräte und Oberflächen kann helfen, Menschen für ein Thema zu interessieren, zu dem sie vorher keinen Zugang hatten. Bedenken sollte man aber auch: Selbst, wenn es in Zukunft immer mehr solcher Projekte geben sollte, haben nur wenige Menschen umfassenden Zugang zu dieser Technik.

Wer sich für Updates zum Projekt interessiert, kann sich bei Marcel melden und in einen entsprechenden E-Mail-Verteiler aufgenommen werden.

http://www.fluechtlingshilfe-hamm.de

Foto: Thilo Schmülgen

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Johanna Voll

Johanna Voll studierte Interkulturelle Europa- und Amerikastudien in Halle (Saale) sowie Soziokulturelle Studien an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), wo sie mittlerweile als akademische Mitarbeiterin tätig ist. Zuvor hat sie u.a. in der Onlineredaktion vom BBE (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement) die Social Media-Kanäle betreut. An der Viadrina beschäftigt sie sich nun mit der Reorganisation von Erwerbsarbeit in der Wissensgsellschaft und untersucht das Phänomen Coworking und seine Räume. Besonders spannend findet sie auch die Schnittstellen von Social Media und Wissenschaft und versucht genau das den Studierenden zu vermitteln.

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